Warum dein Körper auch in der Stille auf Alarm bleibt…und was du tun kannst, wenn Ruhe allein nicht zur Ruhe führt.
- Konstantinos Simeonidis
- 4. Apr.
- 4 Min. Lesezeit
Du hast endlich Zeit. Du ziehst dich zurück. Kein Termin, kein Lärm. Du willst einfach nur durchatmen.Und doch: Dein Körper fährt nicht herunter. Dein Puls bleibt hoch, die Gedanken kreisen, deine Muskeln sind angespannt.Du willst zur Ruhe kommen – aber sie kommt nicht zu dir.
Viele Menschen erleben genau das. Sie sehnen sich nach Stille und Rückzug – und stellen dann fest: Die innere Anspannung bleibt.In diesem Artikel geht es darum, warum Rückzug bei chronischem Stress nicht automatisch zu Entspannung führt, was dabei im Körper geschieht und welche Wege wirklich helfen können, das Nervensystem zurück ins Gleichgewicht zu bringen.
Chronischer Stress: Wenn der Alarm nicht mehr aufhört
Unser autonomes Nervensystem ist darauf ausgelegt, in Gefahrensituationen blitzschnell zu reagieren. Der sogenannte Sympathikus – unser „Fight-or-Flight“-System – wird aktiviert, um kurzfristig Energie bereitzustellen. Normalerweise übernimmt nach der Belastung der Parasympathikus, der beruhigende Gegenspieler, und sorgt für Erholung.
Doch bei dauerhaftem Stress bleibt der Körper im Alarmzustand. Der Parasympathikus wird unterdrückt, während der Sympathikus weiter feuert – auch wenn die Bedrohung längst vorbei ist. Das Ergebnis ist eine sogenannte autonome Dysregulation. Die Folge: Der Körper ist ständig in Hab-Acht-Stellung, die Herzratenvariabilität sinkt, und selbst in Phasen äußerer Ruhe gelingt es nicht mehr, innerlich abzuschalten. Symptome wie Schlafstörungen, muskuläre Verspannung, Herzrasen oder Grübelgedanken sind typische Zeichen dafür, dass der Körper keine Erlaubnis zur Regeneration mehr bekommt.
Polyvagal-Theorie: Entspannung braucht Sicherheit
Die Polyvagal-Theorie des Neurophysiologen Stephen Porges bietet einen Erklärungsansatz für dieses Phänomen. Sie beschreibt drei Hauptzustände des autonomen Nervensystems:
den ventral-vagalen Zustand (Sicherheit, soziale Verbundenheit, Regeneration)
den sympathischen Zustand (Kampf oder Flucht)
den dorsal-vagalen Zustand (Einfrieren, Rückzug, Erschöpfung)
Um echte Entspannung zu ermöglichen, muss der ventrale Vagus aktiviert werden – also der Teil des Nervensystems, der soziale Verbindung und Sicherheit signalisiert. Das geschieht nicht allein durch Rückzug oder Stille, sondern vor allem durch Gefühle von Sicherheit. Genau diese fehlen jedoch häufig bei Menschen mit chronischem Stress. Der Körper ist dann so sehr auf „Gefahr“ programmiert, dass er selbst in ruhigen Momenten nicht abschaltet. Im Gegenteil: Rückzug kann sogar als bedrohlich empfunden werden, weil die gewohnte Ablenkung fehlt – und innere Unruhe, Gedankenflut oder sogar Angstgefühle mehr Raum bekommen.
Warum Rückzug nicht automatisch hilft
Besonders Menschen, die lange unter Belastung standen, berichten häufig, dass Stille oder Entspannungsübungen zunächst unangenehm sind. Statt Erholung treten Gefühle von Leere, Unruhe oder Anspannung auf. Das ist kein Zeichen von persönlichem Versagen, sondern Ausdruck eines überreizten Nervensystems. Wenn der Körper über lange Zeit gelernt hat, in erhöhter Wachsamkeit zu funktionieren, fühlt sich Entspannung ungewohnt – ja sogar unsicher – an. In manchen Fällen kippt der Zustand sogar in einen dorsal-vagalen Shutdown: Erschöpfung, emotionale Taubheit, Depersonalisation. Man fühlt sich leer, aber nicht erholt.
Digital Detox: Segen oder neuer Stress?

In einer digital geprägten Welt ist das Smartphone oft permanenter Begleiter – auch als Ablenkung vom Stress. Deshalb gelten digitale Pausen inzwischen als effektive Methode zur Entlastung des Nervensystems. Studien zeigen, dass eine reduzierte Bildschirmzeit – zum Beispiel durch eine Social-Media-Pause – das subjektive Stressempfinden senken und die Schlafqualität sowie Lebenszufriedenheit verbessern kann.
Doch auch hier gilt: Eine digitale Auszeit wirkt nicht automatisch entlastend – vor allem dann nicht, wenn sie abrupt und ohne bewusste Gestaltung erfolgt. Viele erleben in den ersten Tagen eine unangenehme Eingewöhnungsphase: Unruhe, Langeweile, das Gefühl, etwas zu verpassen. Wer stark an digitale Reize gewöhnt ist, erlebt die Abstinenz zunächst nicht als Erholung, sondern als inneren Stressor. Der Effekt gleicht einem Entzug.
Das bedeutet nicht, dass Digital Detox unwirksam ist – im Gegenteil. Aber der Erfolg hängt davon ab, wie die Pause gestaltet wird. Ein bewusster, gut vorbereiteter Umgang mit reduzierter Nutzung und der gezielte Einsatz von alternativen Reizen – wie Natur, Bewegung oder soziale Nähe – machen den Unterschied.
Entspannung ist kein Zustand, sondern ein aktiver Prozess
Was all diese Phänomene gemeinsam haben: Sie zeigen, dass der Weg zurück zur inneren Ruhe nicht passiv erfolgt.Entspannung ist kein Zustand, den man einfach erreicht, wenn man nichts tut – sondern ein aktiver Vorgang der Selbstregulation.
Gerade bei chronischem Stress braucht das autonome Nervensystem gezielte Impulse, um sich wieder zu regulieren. Es geht darum, dem Körper zu signalisieren: Es ist sicher. Du darfst loslassen. Und dafür braucht es oft mehr als ein ruhiges Zimmer oder das ausgeschaltete Smartphone.
Was wirklich hilft: Erste Impulse für echte Regeneration
Soziale Nähe: Gespräche mit vertrauten Menschen oder körperliche Nähe können das Sicherheitsgefühl stärken.
Bewegung: Sanfte Bewegung in der Natur wirkt regulierend auf das autonome Nervensystem.
Atemübungen: Bewusstes, langsames Atmen (z. B. 4 Sekunden ein, 6 Sekunden aus) aktiviert den Vagusnerv.
Musik oder Klang: Ruhige Stimmen oder beruhigende Musik können unterschwellig Sicherheit vermitteln.
Digitale Pausen bewusst gestalten: Statt radikalem Verzicht lieber gezielte Zeiten offline mit sinnvoller Gestaltung.
Strukturierte Entspannung: Techniken wie Meditation, Achtsamkeit oder Körperreisen können helfen – aber oft erst nach einer Gewöhnungsphase.
Fazit
Wenn dein Körper auch in der Stille auf Alarm bleibt, dann liegt das nicht an fehlender Disziplin oder innerer Schwäche. Es zeigt, wie sehr dein System gelernt hat, dich in Dauerbereitschaft zu halten. Und genau das darf sich jetzt wieder regulieren.
Nicht über Druck, sondern über bewusste Impulse. Nicht im Alleingang, sondern im Kontakt mit dem, was dir Sicherheit gibt – sei es ein Mensch, ein Ort, eine Bewegung, ein Atemzug.
Denn echte Entspannung bedeutet nicht nur, dass alles ruhig ist. Sie beginnt dort, wo dein Körper spürt: Ich bin sicher. Ich darf sein.
Wenn du lernen möchtest, wie du dein Nervensystem nachhaltig regulieren und deinen Weg in eine gesunde Balance zurückfinden kannst, begleite ich dich gern – als Coach, Trainer und Impulsgeber für gesunde Performance in Alltag, Beruf und Sport.
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