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„Warum es uns schwerfällt, Nein zu sagen – und wie wir lernen, es zu verändern“

Autorenbild: Konstantinos SimeonidisKonstantinos Simeonidis

Nein zu sagen, fällt vielen Menschen schwer. Es ist mehr als eine kommunikative Herausforderung – es ist ein Ausdruck tiefliegender Muster, die in unserer Erziehung, unseren neuronalen Strukturen und gesellschaftlichen Prägungen verwurzelt sind. Dieses Thema, das immer wieder in Coachingsessions auftaucht, ist nicht nur eine persönliche Hürde, sondern auch eine Chance zur Weiterentwicklung und Selbstermächtigung.


Gerald Hüther, einer der bekanntesten Neurobiologen Deutschlands, hat sich intensiv mit diesen inneren Mechanismen auseinandergesetzt. In seinem Buch „Würde: Was uns stark macht – als Einzelne und als Gesellschaft“ beschreibt er, wie wir uns oft unbewusst zu Objekten der Erwartungen anderer machen. Besonders geprägt durch unsere Kindheit, haben viele von uns gelernt, dass Gehorsam, Anpassung und das Erfüllen von Anforderungen zu Anerkennung und Zugehörigkeit führen. Dies führt dazu, dass wir im Erwachsenenalter häufig Ja sagen, auch wenn es gegen unsere eigenen Bedürfnisse oder Werte geht. Hüther betont, dass wir unsere Subjekthaftigkeit – also unser Bewusstsein als selbstbestimmtes Wesen – wahren müssen, um Nein sagen zu können. Dabei ist es weniger eine Frage der Willenskraft, sondern der Reflexion und bewussten Veränderung unserer Muster.


Im Coaching setzen wir genau hier an. Ziel ist es, die individuellen Automatismen zu erkennen und zu reflektieren. Oft starten wir mit Fragen wie: „In welchen Situationen fällt es dir besonders schwer, Nein zu sagen?“ oder „Welche Gefühle tauchen in dir auf, wenn du Nein sagst?“ Die Antworten helfen, die inneren Trigger und emotionalen Reaktionen zu identifizieren. Diese Muster sind oft tief in unserem limbischen System verankert, wo emotionale Entscheidungen getroffen werden. Durch diese Reflexion schaffen wir einen Raum, in dem neue Wege ausprobiert werden können.


Ein wichtiger Schritt ist, die Fähigkeit zu trainieren, einen Moment innezuhalten, bevor man automatisch Ja sagt. Dieser Raum zwischen Reiz und Reaktion, wie Hüther es beschreibt, gibt uns die Möglichkeit, bewusst eine Entscheidung zu treffen. Gemeinsam entwickeln wir kleine Übungen und To-Dos, die helfen, diese Fähigkeit in den Alltag zu integrieren. Dazu gehören beispielsweise:


  • Achtsamkeit für die eigene Sprache: Sich bewusst machen, wann und warum man automatisch Ja sagt.

  • Erprobtes Nein: In kleinen, alltäglichen Situationen üben, Nein zu sagen, um ein Gefühl von Sicherheit zu entwickeln.

  • Wertschätzende Ablehnung formulieren: Ein Nein muss nicht hart oder verletzend sein. Es kann auch in Formulierungen wie „Danke, dass du an mich gedacht hast, aber das passt gerade nicht“ ausgedrückt werden.

  • Reflexion der Ergebnisse: Nach jeder bewusst gesetzten Grenze prüfen, wie es sich angefühlt hat und welche Reaktionen darauf entstanden sind.


Hüther betont, dass dies keine kurzfristige Veränderung ist, sondern ein Prozess, der Zeit braucht. Es geht nicht nur um das Nein selbst, sondern darum, sich der eigenen Würde bewusst zu werden und sich von der Angst zu lösen, nicht gemocht oder abgelehnt zu werden. Jede Entscheidung, die im Einklang mit unseren Werten und Bedürfnissen steht, stärkt unser Selbstbewusstsein und unsere innere Klarheit.


In der Praxis zeigt sich immer wieder, dass Nein zu sagen nicht nur Grenzen setzt, sondern auch Beziehungen auf eine neue Ebene heben kann. Ein ehrliches Nein schafft Vertrauen und verhindert die langfristigen Konflikte, die durch halbherzige Jas entstehen.


Empfohlene Literatur an dieser Stelle: Gerald Hüther – „Würde: Was uns stark macht – als Einzelne und als Gesellschaft“. Dieses Buch ist eine wertvolle Grundlage, um zu verstehen, wie wir unser Verhalten verändern können, indem wir uns unserer selbst bewusster werden und unsere Würde wieder in den Mittelpunkt stellen.


Das Nein ist ein kraftvolles Werkzeug, das uns zu uns selbst zurückführt. Es ist mehr als eine Ablehnung – es ist ein Akt der Selbstachtung und ein Schritt in Richtung Authentizität und Klarheit. Und genau das ist es, was wir im Coaching erarbeiten: den Mut, unsere Grenzen zu wahren, ohne dabei unsere Beziehungen zu verlieren. Ein Nein zu anderen ist letztlich ein Ja zu uns selbst.

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